Friedrich Glauser

Außenseiter in Mattos Reich

MC-ADX 79601

Eine Lesung aus seinem erzählerischen Werk

Textauswahl: Titus Horst

Daß Friedrich Glausers Briefe sehr zahlreich überliefert werden konnten, ist einem bemerkenswerten Umstand zu verdanken: Als Aktenstücke waren sie von seinem behördlichen Vormund amtshalber archiviert worden. Die gerichtlich verhängte Unmündigkeit, aus der Glauser sich Zeit seines Lebens nicht zu lösen vermochte, war praktisch die Bereitstellung eines Kanals, aus dem sich endloser Text schöpfen ließ. Die Verweigerung der gleichberechtigten Stimme als Anlaß für unentwegtes Sprechen.

Autobiographisches, kurze Erzählungen, die "Wachtmeister Studer"-Romane - Glausers Geschichten spielen fast ausnahmslos in der Welt der Korrekturanstalten, der Gefängnisse, der Armen- und Irrenhäuser, Manchmal geraten sie in die Fremdenlegion oder den Gartenbau - auch dies Orte, an denen man den Morphinisten mit der Expertise "moralischer Schwachsinn" zum ehrenwerten Leben umstimmen wollte.

Anläßlich dessen hundertsten Geburtstag im Februar '96 inszenierte der Münchner Schauspieler Titus Horst gemeinsam mit Evelyn Plank und dem Schweizer Heinz Müller eine szenische Lesung mit Texten Glausers. Eine geraffte Version davon ist nun auf einer Audiocassette erschienen.

Erzählungen stehen hier neben autobiographischen Fragmenten. Manchmal vermischt sich beides und gerät zur Persiflage, etwa wenn Glauser in "Außenseiter" die völlig sinnlose Rechtfertigung eines Psychiatriepatienten vor seinem Arzt verhöhnt. Die Gefahr eines solchen Nebeneinanders von Text und Autor-biographie liegt auf der Hand: Heldenverehrung ganz im Stil bürgerlicher Literaturrezeption - der Genius als tragischer Fall. Doch dieser Verdacht läßt sich bei der sehr zurückhaltenden Textauswahl nicht bestätigen. Statt einen Mythos zu produzieren, wird Glauser selbst in Frieden gelassen. Im Vordergrund stehen seine Untersuchungen des zivilisatorischen Grauens: trocken, gleichzeitig intensiv, gar nicht so unwitzig und immer irgendwie beiläufig.

Der Höhepunkt ist die "Totenklage", eine Erzählung, die in ihrer lapidaren Analyse von Liebe, Betrug und Tod höchstens noch von Schnitzlers "Sterben" erreicht wird. Evelyn Plank changiert als Erzählerin souverän zwischen schnippisch und sentimental.

Christian Schwenkmaier